Schwellenland

Interview mit Edwin Schuh, Managing Director GTAI Mexiko und Kuba.

Der GTAI Experte lebt seit über einem Jahrzehnt in Latein- und Südamerika und weiß, das Schwellenland Mexiko funktioniert.

Seit einem Jahrzehnt lebt Edwin Schuh bereits in Latein- und Südamerika, In dieser Zeit hat er Kolumbien, Brasilien und jetzt Mexiko kennengelernt. Wir haben mit ihm über seine beruflichen Erfahrungen im Schwellenland, die Lebensqualität in Mexico und die Chancen dort für deutsche Unternehmen gesprochen. Ein Interview aus der Reihe #peopleinournetwork.

Hallo Edwin, schön dass es heute geklappt hat. Für den Einstieg: Magst Du uns ein bisschen etwas über dich erzählen?

Ich wollte schon immer im Ausland arbeiten, nach dem Master hat sich dann die Chance ergeben, für die GTAI nach Bogota entsendet zu werden. Das war vor neun Jahren und seitdem konnte ich, dem GTAI Rotationsprinzip sei Dank, insgesamt sechs Jahre in Kolumbien, zwischendurch ein Jahr in Sao Paulo, Brasilien, verbringen und bin jetzt eben seit knapp einem Jahr in Mexiko.

Du hast in Brasilien. Kolumbien und Mexiko gelebt, und warst außerdem ja auch zuständig für Venezuela, Ecuador und jetzt Kuba. Was fällt Dir im Vergleich besonders auf?

Was mich besonders fasziniert, sind die Unterschiede in den verschiedenen Ländern. Als Außenstehender mag man vielleicht denken, dass sich die Länder in Lateinamerika sehr ähneln, es ist aber doch, zum Beispiel wirtschaftlich, sehr unterschiedlich. Mexiko einerseits, hat die starke Automobilindustrie, während Kolumbien und Brasilien sehr rohstoffabhängig sind. Das gleiche gilt für Ecuador und Peru. Der Agrarsektor, Bergbau und Erdöl sind hier die vorherrschenden Industrien.

Dazu kommen die unterschiedlichen politischen und wirtschaftlichen Modelle: Sozialismus und Planwirtschaft in Kuba, Venezuela tendiert in eine ähnliche Richtung. Dagegen steht der Kapitalismus in Kolumbien oder hier in Mexiko, wo der Staat weniger eingreift. Dadurch herrscht auch eine höhere Ungleichheit. Es gibt eine sehr kleine Oberschicht, die wahrscheinlich noch viel besser lebt, als man es sich in Deutschland vorstellen kann. Hier sieht man zum Beispiel Leute, die mit dem Helikopter zur Arbeit fliegen. Dann gibt es eine etwas größere Mittelschicht und eine sehr große Unterschicht, in der die Menschen trotz harter Arbeit sehr wenig verdienen.

Welcher dieser Standorte hat dich am meisten fasziniert?

In den Jahren 2013-2016 herrschte in Kolumbien eine ganz besondere Aufbruchstimmung. Nachdem sich die Sicherheitslage erheblich verbessert hatte, kamen immer mehr ausländische Firmen ins Land. Auch deutsche Mttelständler entdeckten den Standort Kolumbien und eröffneten zum Beispiel regionale Zentren, um auch andere Länder von dort aus abzudecken, das war arbeitsmäßig natürlich sehr interessant.

Aber hier in Mexiko kann man auch supergut leben. Das Land ist sehr vielfältig – besonders gut gefällt mir die Halbinsel Yucatán, aber auch die Pazifikküste hat ihren Reiz. Außerdem sind viele deutsche Firmen vor Ort und es ist toll, in einem Schwellenland mit so moderner Industrie zu leben. BMW und Liebherr zum Beispiel haben hier hochmoderne Fabriken, die ich bereits besichtigen durfte. Die lokalen Mitarbeiter sind stolz, dort zu arbeiten.

Wie würdest Du Deine Beziehung zum German Centre beschreiben? Wir arbeiten German Centre und GTAI zusammen?

Als erstes ist es für meine Arbeit sehr wichtig, gleich Kontakte zu haben, zum Beispiel zu den Firmen aus dem deutschen Mittelstand. Wenn ich etwa ein Interview zum Verpackungssektor brauche, kann ich hier im Haus direkt runter zu Multivac gehen. Mexiko-City ist ja eine recht große Stadt und die Firmen als Nachbarn zu haben ist da sehr praktisch. Ihr beim German Centre seid auch extrem hilfsbereit und vermittelt die Kontakte. Das zweite sind die Events, die ihr macht. Da ist immer sehr gute Stimmung, wie neulich, als die Spieler von Bayer Leverkusen im Haus waren. Das war schon einmalig, dass man bei sich im Büro auf vier Bundesligaspieler trifft.

Sprechen wir über die Markentwicklung in Mexiko: Wie würdest du die aktuelle Lage beschreiben? Welche Risiken, welche Chancen bestehen für deutsche Unternehmen?

Die Industrie in Mexiko ist stark und man sieht jetzt, dass nach der Covid-Pause wieder stärker investiert wird, vor allem im Automobilsektor. Der Nearshoring-Trend wird hier gut sichtbar: Zulieferer wollen näher an den USA und ihren Endkunden, den Automobilherstellern, sein. Letztere sind ja schon fast alle im Land, wie etwa Volkswagen, Audi, BMW, Mercedes und die großen asiatischen und US-amerikanischen Marken. Jetzt folgen die Tier-1 und Tier-2 Zulieferer.

Die geringen Lohnkosten, sogar im Vergleich zu Asien, sind ebenfalls ein guter Grund, auch für den Mittelstand. Aktuell sieht man daher verstärkt asiatische Firmen, die in Mexiko Fabriken eröffnen. So hat Samsung kürzlich eine Investition von 500 Millionen US$ für ein neues Werk von Haushaltsgeräten in Nordmexiko angekündigt. Die würden ja nicht kommen, wenn die Produktion in Asien günstiger wäre! Es lohnt sich also, in Mexiko zu produzieren.

Schwieriger haben es Unternehmen aus dem Rohstoff- und Energiesektor. Im Erdölsektor gibt es die Staatsfirma Pemex, die die Regierung mit allen Mitteln stärkt, zum Beispiel bei der Vergabe von Konzessionen. Private Unternehmen haben es daneben sehr schwer. Im Energiesektor ist es ein ähnliches Bild, hier gibt es zwar auch, besonders im Bereich erneuerbare Energien, private Anbieter – aber die Regierung tut alles dafür, um den Marktanteil des staatlichen Unternehmens CFE zu erhöhen. Außerdem wurden jetzt im April die Lithium-Vorkommen verstaatlicht, daher haben auch Unternehmen aus dem Bergbau nicht so gute Chancen.

Über Edwin Schuh

Seit seinem Studium der Wirtschaftswissenschaften an der Universität St. Gallen wollte Edwin Schuh im Ausland arbeiten. Darum nahm er, nach Austauschsemestern in Bangkok (Thailand) und Bogotá (Kolumbien) und seinem Master-Abschluss, ein Jobangebot bei Germany Trade & Invest (GTAI) an, einer Institution, der er bis heute treu geblieben ist.

Vom Standort Berlin aus führt es Edwin nach Bogotá, um dort ein Büro aufzubauen. In Bogotá war er auch für Venezuela, Peru und Ecuador zuständig. Nach einem kurzen Zwischenstopp in Sao Paulo (Brasilien) wurde er 2020 Leiter des GTAI-Büros in Mexiko-Stadt, eine Position, die er bis heute innehält. Ein wichtiger Schwerpunkt seiner Arbeit ist die Information deutscher Unternehmen über Geschäftsmöglichkeiten in verschiedenen Sektoren in den beiden Schwellenländern Mexiko und Kuba.

Wie sieht es mit der Sicherheit aus?

Das, was man in den Medien sieht, Kartelle, die sich untereinander bekriegen und die hohe Mordrate, ist keine direkte Gefahr für deutsche Unternehmen. Wenn man in grenznahen Gebieten, zum Beispiel in Tijuana, unterwegs ist, sollte man aber schon ein paar Vorkehrungen treffen und zum Beispiel abends nicht auf die Straße gehen. Einige Firmen buchen auch für ihre ausländischen Mitarbeiter lieber Hotels auf der US-Seite. Ein anderes Thema sind Überfälle auf Lkw, zum Beispiel von der Fahrt vom Hafen zur Fabrik. Dieses Risiko lässt sich mit gewissen Maßnahmen reduzieren, zum Beispiel indem Fahrer in der Kolonne unterwegs sind und mit GPS-Trackern ausgestattet werden. Aber eine gewisse Gefahr besteht schon, das muss man in solchen Schwellenländern berücksichtigen.

Hat die Regierung ein Interesse an ausländischen Investitionen? Gibt es Förderungen?

Auf staatlicher Ebene ist es derzeit schwierig, aber auf regionaler Ebene gibt es von einigen Bundesstaaten Bestrebungen, mehr Industrie anzusiedeln. Besonders engagiert und professionell sind die Bundesstaaten im Zentrum des Landes und an der US-Grenze. Einige dieser Bundesstaaten haben die Initiative „Invest in Mexico“ ins Leben gerufen.

Welchen Tipp würdest du deutschen Unternehmen aus dem Mittelstand geben, die in Mexiko Fuß fassen wollen?

Es lohnt sich auf jeden Fall, Mexiko als gesamtes Land bei der Standortwahl zu betrachten, nicht nur Mexiko-City. Je nach Unternehmensfokus können sich, vor allem für die Produktion, auch andere Regionen als Standort eignen. Dazu zählt zum Beispiel der Norden an der Grenze zu den USA, oder näher an der Pazifikküste, wenn man die Anbindung nach Asien sucht.

Ein weiterer, aktueller Tipp betrifft die Währungen in Schwellenländern: Euro, Peso, US-Dollar. Oft werden im Mittelstand die Mitarbeiter in Pesos bezahlt, Kaufverträge in US-Dollar geschlossen und das, was das Mutterhaus betrifft, in Euro abgerechnet. Die Kursschwankungen müssen genau im Auge behalten werden und können eine große Rolle spielen.

Warum sollten Unternehmen trotzdem eine Repräsentanz in Mexiko-City haben?

Die meisten Firmen haben zumindest eine Repräsentanz oder ein Verkaufsbüro hier, auch wenn ihre Werke im Schwellenland verteilt sind. Die wichtigsten politischen und auch wirtschaftlichen Kontakte und Beziehungen laufen in der Hauptstadt ab. Dafür und für die Betreuung der einzelnen Standorte im Land ist Mexiko-City der beste Ausgangspunkt – sowohl für den Mittelstand als auch für Konzerne.

Zuletzt noch eine ganz andere Frage: Was gefällt dir an Mexiko besonders?

Mexiko hat eine ziemlich hohe Lebensqualität, auch wenn es den Status als Schwellenland besitzt. Das ist vielleicht überraschend, weil das Land normalerweise nicht auf den oberen Plätzen von Expat-Rankings auftaucht, die allerdings meistens harte Faktoren berücksichtigen. Schaut man sich die weichen Faktoren an, sieht es ganz anders aus. Die Expat-Gemeinschaft Internations hat Mexiko kürzlich unter 52 Ländern an die Spitze der „best places to live“ gewählt und ich kann dem nur voll zustimmen. Als Expat kann man hier ein gutes und unkompliziertes Leben führen, man findest sehr leicht Freunde und die Mexikaner sind sehr entspannt können aus jeder Situation immer etwas Lustiges herausholen.

Vielen Dank, Edwin, für das spannende Gespräch!

Über GTAI

Germany Trade & Invest (GTAI) ist die Außenwirtschaftsagentur der Bundesrepublik Deutschland. Mit 60 Standorten weltweit und dem Partnernetzwerk unterstützt Germany Trade & Invest deutsche Unternehmen, auch aus dem Mittelstand, bei ihrem Weg ins Ausland. Außerdem wirbt GTAI für den Standort Deutschland und begleitet ausländische Unternehmen bei der Ansiedlung in Deutschland. Edwin Schuh ist Leiter des GTAI Mexiko & Kuba, das Büro befindet sich im German Centre Mexico.

Autor

Ute Papadopoulos