Energiewende
Interview mit Kevin Tu, Agora Energy Transition China
Der Geschäftsführer von Agora Energy Transition China und Senior Advisor China von Agora Energiewende will Klimaneutralität voranbringen. Ein Interview aus der Reihe #peopleinournetwork.
Kevin Tu, Managing Director of Agora Energy Transition China, and Senior Advisor China of Agora Energiewende
Kevin Tu ist Geschäftsführer von Agora Energy Transition China und Senior Advisor China von Agora Energiewende, einem Think Tank mit Sitz in Berlin, der evidenzbasierte und politisch umsetzbare Strategien entwickelt, um das Ziel der Klimaneutralität in Deutschland, Europa und dem Rest der Welt voranzubringen.
Hallo Kevin Tu, vielen Dank, dass Sie sich heute die Zeit genommen haben, mit uns zu sprechen. Warum erzählen Sie uns zu Beginn nicht etwas über sich?
Hallo, sehr gern! Ich habe mein ganzes Berufsleben lang in der Energiebranche gearbeitet. Im Laufe meiner Karriere verlagerte sich der Fokus meiner Arbeit allerdings immer mehr auf erneuerbare Energien und nachhaltige Lösungen zur Bekämpfung des Klimawandels.
Ich folgte dem Beispiel meines Vaters, der seine berufliche Karriere in der chinesischen Ölindustrie verbrachte. Ich habe Chemie- und Maschinenbau studiert und begann meine Karriere bei einem der größten chinesischen Ölkonzerne: Sinopec. Danach übernahm ich die Position als Projektmanager, um den Bau von Chinas erstem atmosphärischen Kältemittel-LPG-Terminal zu beaufsichtigen, das sich in Shenzhen befand. Die Stadt hatte sich in wenigen Jahren seit 1978, als es nicht viel mehr als ein Fischerdorf war, zu einer modernen Metropole entwickelt. Danach blieb ich noch eine Weile, um den LPG-Marinebetrieb zu leiten, und erkannte während dieser Zeit immer mehr die Auswirkungen von Shenzhen’s Wirtschaftsboom, das LPG Projekt eingeschlossen, auf die Umwelt. Das gab mir den Ansporn, um nach Vancouver, Kanada, zu ziehen und Ressourcen- und Umweltmanagement an der Simon Fraser University zu studieren.
Damit begannen 17 Jahre Auslandsaufenthalt und Arbeit für verschiedene Organisationen in verschiedenen Teilen der Welt. All hatten ein gemeinsames Ziel: eine nachhaltige Energiewende voranzutreiben. Nach meinem Abschluss war ich sieben Jahre lang als Energie- und Umweltberater in Vancouver tätig, wo ich hauptsächlich die kanadische Bundesregierung beriet. 2009 kam dann der enttäuschende Kopenhagener Klimagipfel, bei dem es nicht gelang, eine globale Einigung für höhere Emissionssenkungen zu erzielen. Das brachte mich dazu, in die Vereinigten Staaten zu ziehen, wo ich Senior Fellow und Direktor des chinesischen Energie- und Klimaprogramms bei der Carnegie Endowment for International Peace wurde. Ich hatte mir vorgenommen, die Unterschiede zwischen der Klimapolitik der USA und Chinas – den beiden größten CO2-Emittenten der Welt – zu überbrücken.
2013 trat ich eine neue Stelle bei der Internationalen Energieagentur (IEA) in Paris an, mit dem Ziel, China zum Mitglied der IEA zu machen. Auf dieser Mission konnte ich gewisse Erfolge verbuchen: 2015 erhielt China als eines der ersten Länder den Status „assoziiertes Land“ der IEA. 2017 wurde dann das China Liaison Office der IEA in Peking gegründet.
Nach meiner Rückkehr nach China vor fünf Jahren nahm ich zunächst eine Fellowship an der Columbia University an, bevor ich zu Agora Energiewende kam. Hier baue ich seitdem Agoras China-Geschäft auf. Wir haben das Ziel, die Zusammenarbeit zwischen der EU und China im Bereich erneuerbare Energien und Klimawandel zu fördern.
Warum haben Sie das German Centre als Bürostandort in Peking gewählt?
Bei der Suche nach geeigneten Arbeitsplätzen im Jahr 2021 wurde uns das German Centre Beijing von verschiedenen Freunden und Partnern aus unserem Netzwerk empfohlen. Nachdem wir das German Centre ein paar Mal besucht und mit anderen Optionen verglichen hatten, war sich unser gesamtes Team einig. Das German Center ist der perfekte Ort, um das neue China-Büro von Agora zu errichten.
Rückblickend sind wir sehr zufrieden mit unserer Entscheidung. Wir sind nicht nur vom fantastischen Service und Engagement des German Centre Teams beeindruckt. Darüber hinaus ist es großartig, von so vielen deutschen Schlüsselorganisationen und Unternehmen umgeben zu sein. Wir knüpfen wertvolle Verbindungen und sind Teil der sehr aktiven chinesisch-deutschen Geschäftswelt in Peking.
Was sind die Hauptbereiche der Zusammenarbeit zwischen China und Deutschland im Bereich der Dekarbonisierung und der Umstellung auf saubere Energie?
Die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Deutschland und China sind enorm. China war auch 2021 Deutschlands größter Handelspartner mit einem Volumen von über 245 Milliarden Euro. Vom German Centre aus treffe ich Hersteller und Handelsunternehmen aus den unterschiedlichsten Branchen. Alle profitieren von starken bilateralen Beziehungen, einschließlich des Energiesektors.
Angesichts der aktuellen geopolitischen Spannungen hoffe ich jedoch, dass beide Länder ihre Politik gegenüber der anderen Seite anpassen und optimieren. Dabei muss der Schwerpunkt auf Win-Win-Kooperationen liegen. Kooperationen, die nur einer Partei Vorteile bringen, sind nicht nachhaltig und gefährden letztendlich die Beziehungen.
Das ist auch die Basis für eine erfolgreiche Zusammenarbeit beider Länder bei der Energiewende und Dekarbonisierung. Selbst in diesem relativ unumstrittenen Feld gibt es verschiedene Kooperationen, die eine schwierige Phase durchgemacht haben. Zum Beispiel jetzt, wo China auf dem Weg ist, der größte Markt für saubere Energien zu werden. Derzeit dominieren chinesische Hersteller den Weltmarkt für Photovoltaik-Module, ähnliche Entwicklungen sind bei Windkraftanlagen zu beobachten. Um zu verhindern, dass es, wie bei den Solarpanels, wieder zu Disputen über Subventionen für chinesische Hersteller kommt, ist es dringend notwendig die europäisch-chinesische Zusammenarbeit einvernehmlichen so zu gestalten, dass beide Seiten davon profitieren.
Deshalb betrachten wir bei Agora Energiewende mit Büros in Berlin, Brüssel, Bangkok und Peking die nachhaltige Energiewende aus neutraler Position und internationaler Perspektive. Wir haben den Auftrag, tragfähige Strategien zu entwickeln, um das Ziel der Klimaneutralität voranzutreiben und die internationale Zusammenarbeit zu stärken.
Über Kevin Tu
Kevin Tu ist Senior Advisor bei Agora Energiewende und leitet Projekte zur Energie- und Klimapolitik Chinas. Außerdem ist er Lehrbeauftragter an der School of Environment der Beijing Normal University. Des weiteren ist er Fellow am Center on Global Energy Policy der Columbia University, am Institut français des relations internationales (Ifri) sowie am Institute of energy an der Universität Peking.
Bevor Kevin zu Agora kam, leitete er Chinas Energie- und Klimaprogramme bei der International Energy Agency (IEA) und der Carnegie Endowment for International Peace. Zudem sammelte er Managementerfahrungen im Energieberatungsgeschäft sowie in der Öl- und Gasindustrie.
Kevin Tu verfügt über mehr als zwei Jahrzehnte Erfahrung in den Bereichen Energie und Umwelt im asiatisch-pazifischen Raum, in Nordamerika und in Europa. Seine Forschung deckt die gesamte Bandbreite an Energiethemen ab. Dazu zählen Wertschöpfungsketten fossiler Brennstoffe, Energiewende, Reformen im Energiesektor und Klimawandel. Seine Schwerpunkte liegen auf den Beziehungen zwischen der Europäischen Union und China sowie zwischen den USA und China. Außerdem beschäftigt er sich mit den Auswirkungen auf Chinas Energie- und Klimapolitik. Kevin hat einen Masterabschluss in Resource & Environmental Management und einen Bachelorabschluss in Chemical & Mechanical Engineering.
Sie haben Chinas Dominanz bei bestimmten sauberen Energietechnologien erwähnt. Was raten Sie internationalen Klimatech-Unternehmen, die in den chinesischen Markt eintreten, und wo sehen Sie Chancen für deutsche Unternehmen und Produkte?
Auch wenn Deutschland derzeit mit vielen Herausforderungen konfrontiert ist, wie beispielsweise der anhaltenden europäischen Energiekrise, bin ich optimistisch. Die deutschen Gesamtwirtschaft wird sicher erholen und auch die Chancen für deutsche Unternehmen auf den internationalen Märkten. Dabei ist zu erwarten, dass der russisch-ukrainische Krieg und andere globale Störungen die globale Umstellung auf saubere Energie erheblich beeinflussen werden. Dabei werden wohl kurzfristige Auswirkungen nicht unbedingt mit längerfristigen übereinstimmen.
Richtig ist, dass chinesische Anbieter und Hersteller erneuerbarer Energien schnell aufgeholt haben und zunehmend wettbewerbsfähiger wurden. Alle Länder und ihre Volkswirtschaften haben jedoch individuelle Stärken und Schwächen. Zu den größten Stärken der chinesischen Wirtschaft gehört auf jeden Fall eine hohe Fertigungskapazität. Diese basiert auf der Verfügbarkeit von Arbeitskräften und ist in der Lage, Liefer- und Wertschöpfungsketten zu fördern. Aber auf der anderen Seite gibt es auch offensichtliche Schwächen. Dazu gehört ein gewisser Mangel an Innovation sowie ein unzureichender Regulierungsrahmen zur Unterstützung des Übergangs zu sauberen Energien.
Die Etablierung eines neuartigen Energiesystems chinesischer Prägung birgt Chancen und Risiken für die Marktteilnehmer. Wie man den geeigneten Markt oder Nischenmarkt identifiziert, ist wichtig für die nachhaltige Geschäftstätigkeit internationaler Unternehmen. Chinas internationale Energiezusammenarbeit sollte Europa und insbesondere wichtige EU-Mitgliedsländer wie Deutschland priorisieren. Im Idealfall sollten beide Seiten gleiche Wettbewerbsbedingungen für die bilaterale Zusammenarbeit in den Bereichen Investitionen, Handel und Fertigung schaffen.
Als ich seinerzeit beim Carnegie Endowment for International Peace tätig war, wurde ich mal zu einem Treffen mit Dr. Stephen Chu, dem ehemaligen US-Energieminister, eingeladen. Die Schlüsselbotschaft seiner Rede war, dass beide Länder voneinander lernen sollten, um eine nachhaltige Zusammenarbeit zwischen den USA und China aufzubauen. Dem kann ich nur zustimmen, und das gilt auch für die chinesisch-deutschen Beziehungen. Gerade in Zeiten zunehmender geopolitischer Spannungen sollte jedes Land seine eigenen Stärken und Schwächen analysieren. Versuchen wir doch, eigene Schwächen durch Lernen aus den Erfahrungen anderer Länder zu überwinden.
Herzlichen Dank für Ihre Einblicke, Mr Tu!
Über Agora Energiewende/ Agora Energy Transition
Agora Energiewende verfolgt seit 2012 das Ziel, akademisch belastbare und politisch umsetzbare Wege zur Transformation von Energie- und Industriesystemen in Richtung sauberer Energie zu entwickeln. Dabei orientiert sich das Unternehmen an den klima- und energiepolitischen Zielen der Bundesregierung und der Europäischen Union sowie an den wissenschaftlichen Erkenntnissen des Weltklimarats der Vereinten Nationen (IPCC).
Seit der Gründung hat sich Agora Energiewende zu einem der führenden energie- und klimapolitischen Think Tanks in Europa entwickelt. Das Team hat eine Vielzahl von Vorschlägen entwickelt und in die politische Öffentlichkeit getragen. International arbeitet Agora Energiewende mit einer wachsenden Zahl an Partnerorganisationen zusammen, die jeweils in ihren Ländern eine ähnliche Rolle einnehmen.
Agora Energiewende agiert zudem als Vermittlerin zwischen Entscheidungsträger:innen, Interessengruppen, der Wissenschaft sowie den Medien. Dafür werden in der täglichen Arbeit Forschung, Dialog und Öffentlichkeitsarbeit kombiniert. Das Team besteht aus mehr als 100 engagierten Kolleginnen und Kollegen, die Antworten auf jene Fragen finden, die für die Energiewende und eine klimaneutrale Industrie jetzt und in Zukunft entscheidend sind – seien sie wirtschaftlicher, technologischer oder politischer Natur.
Seit 2019 baut Agora Energiewende seine Aktivitäten in China enorm aus. Seitdem besteht eine strategische Partnerschaft mit Agora Energy Transition China, einer in Peking ansässigen Forschungseinrichtung für Energiewende. Die Organisation arbeitet eng mit gleichgesinnten Partnern zusammen, um Chinas CO2-Ziele zu unterstützen: CO2-Emissionshöchststand bis 2030 Erreichen der CO2-Neutralität vor 2060.